Was für ein K(r)ampf!
<Niels H.> Auch in diesem Jahr hat sich eine mit ausgesuchten Experten besetzte Karawane in Richtung Alpen in Bewegung gesetzt. Es galt, unsere Vereinsfarben bei unseren geschätzten südlichen Nachbarn hochzuhalten. Dass es hier ebenfalls um die Befriedigung eines aufkeimenden Suchtfaktors geht, hatte sich bereits unmittelbar nach dem nächtlichen Laufereignis 2018 angedeutet, als wir beschlossen, uns die Hügel auch einmal im Hellen anzusehen.
Gesagt getan und bereits Mitte Juli setzte sich die erste Abordnung der Laufgesellschaft in Richtung der Alpen in Bewegung. Der Altmeister kam dann mit dem Flieger hinterher. Stundenlange Autofahrten sind irgendwann nichts mehr für das Gemüt. Zeit für Nervosität vor dem Lauf war nicht vorhanden. Hätten wir unsere Planungsfee Kerstin nicht dabei gehabt, wir hätten am Sonntag ganz schön blöd auf dem Marktplatz aus der Wäsche geschaut. Der Lauf startete bereits am Sonnabend!
Die wenige Restzeit bis zum Start vertrieben wir uns mit Glücksspiel. In einer Stadt mit Casino natürlich keine Frage. Et voilà! Zwei Freistartplätze für den Ultra-Trail du Mont-Terrible im April nächsten Jahres sprangen dabei heraus. Danke dafür an unsere ganz spezielle Glücksfee Kea.
Der Tag des Rennens brach nach einer aufregenden Nacht an und Jupiter hatte es zum Start gut mit uns gemeint. Danach hielt er aber von Sonne über Regen und Gewitter bis hin zum Hagel alles für uns bereit. Doch dazu später mehr. Zunächst reihten wir uns nämlich ziemlich demütig weit hinten in die Startformation ein, wie es sich bei nur knapp 32 heimatlichen Höhenmetern geziemt. Trois, deux, un, début und ab ging die Post. Zumindest ganz weit vorne. Der Rest schob sich im Ort zusammen. Steil und steiler wurde es auf Montreuxs Kopfsteinpflaster. Es zog sich elendig hin. Die Pumpe am Anschlag und der Lauf hatte noch nicht richtig begonnen.
Auf den ersten sieben Kilometern war ein Überholen so gut wie nicht möglich. Wie an der Perlenschnur gezogen kraxelten die Laufenden (ha,ha... die erste und letzte Hommage an den Genderwahnsinn) immer höher den Berg hinauf. Allein der erste Kilometer in einem Schnitt von 13:08 Min. spricht Bände. Die Zunge schrabbte schon jetzt am Boden entlang. Doch falsch gedacht, denn es ging später tatsächlich noch langsamer. Der Anstieg wollte nie enden. Nach zwei Stunden und fünf Minuten waren die erste zehn Kilometer geschafft. Zum Rechnen verging ab da die Lust. Knapp vor dem höchsten Gipfel fing es zum Glück an zu regnen. Ab irgendwann musste die Regenjacke herhalten, es ging auf Ziehwegen bergab und es wurde flotter. Die kurze Zeit des Durchschnaufens war angebrochen. Der schnellste Kilometer dann in 3:46 Min. und irgendwann die Überlegung: Wie stoppt man das Tempo wieder ab? Flott um die nächste Ecke und es ging bremsend bergan. Uff! Und einen weiten Steinwurf entfernt kam die mittlere Verpflegungsstation in Sicht.
Den Trinkbecher im Rucksack zu finden ist auch eine Kunst. Profis beherrschen das. Vergebliches Suchen. Schnell noch etwas Schoko, Schoko und Schoko und weiter! Aber falsch gedacht! Ausrüstungskontrolle. Alles sofort gefunden. Das kommt auch nicht so oft vor. Jetzt aber weiterlaufen und nach 500 Metern, echten und keinen Höhenmetern, war schon wieder Schluss mit Laufen. Und auch die unangekündigte Regenunterbrechung fand urplötzlich ihr Ende. Jetzt wurde es matschig und nebelig. Ein Anstieg wie im Horrorfilm und der Gedanke an den stocklosen Klaus und wie er wohl dieses Miststück hochkommt.
Oben an der Bahnstation, offensichtlich gibt es auch einen ordentlichen Weg dorthin, empfing uns ein Hirtenmusikertrio mit einer einheimische Ballade. Jetzt passte das Innen und Außen wieder zusammen. Und, ach herrje, es ging wieder bergab und nicht nur das: Kilometer 19 und die ersten Krämpfe beim Alterspräsidenten. Okay. Fair geht vor. An die Seite gestellt auf diesem 30 Zentimeter breiten Pfad und artig flottere Gemsen passieren lassen. Und zwischendurch: Dehnen. Im Läuferhandbuch steht unter dem Suchbegriff „Überwinden unglücklicher Unterbrechungen“: Langsam wieder Fahrt aufnehmen. Blinken und wieder rein ins Gewühl. Es ging jetzt steil bergab auf matschigem Geläuf und die Hoffnung auf einen sturzfreien Tag schwand spätestens jetzt dahin. In allerfeinstem Hüftschwung ging es aus dem Wald und da war sie, die letzte Verpflegungsstation bei km 22. Zeit zum Durchschnaufen. Nasser Kuchen, Cola mit Regenwasser und ran an knapp 300 Meter Asphalt. Ein scharfer Knick nach links und rein in den Wald.
Es ging jetzt fast nur noch bergab. Anspruchsvolle Steinpassagen wechselten sich mit schlüpfrigem Baumwurzelwerk harmonisch ab. Die Angst, plötzlich in einem Abgrund zu verschwinden, drückte dabei das Tempo. Hat doch was: Schiss am Rande der Schlucht. Hin und wieder Platz für flottere Mitstreiter zu machen ist Ehrensache. Was für Ausblicke. Da hat uns die Nacht des letzten Jahres einiges vorenthalten. Glücklicherweise! Und tatsächlich, nicht nur die Sonne zwinkerte jetzt immer mehr durch die Bäume. Die Stadt kam wieder in Sicht. Die Autobahnbrücke ist das Zeichen für die letzten knapp zwei Kilometer. Flott die Regenjacke aufgeknöpft, die Heldenbrust muss ja zu sehen sein, und bereit machen zum Schlussspurt. Die Promenade, das Casino, das Ziel, geschafft. Futterneid... wo gibt es ein Bier? Es tropft nur so herab. So muss es sich in Wankdorf 1954 angefühlt haben. Und dann sind alle da. Keuchend, schnaufend und grinsend. Geschafft, wir und der Lauf.
Doch nach dem Lauf ist vor dem Lauf denn unsere Rennmaus Kaatje musste auch noch ran. Ganz lässig kannte sie keine Aufregung. Leistungsdruck, wo bist du geblieben? Die Zeit bis zum Start verging fast wie im Flug. Ein Spektakel jagte das nächste. Duschen, Massagen, Kulinarisieren und Soundcheck. Die Nacht war im Anflug und Kaatje rannte los. Mit grandioser Renntaktik hat sie dann die von allen erwartete Zeit unterboten. Auch sie zu Recht stolz wie Bolle. Zeit um zu feiern und schon vom nächsten Jahr zu träumen.
Uf Wiederluege Montreux!