Volker ist pünktlich und läuft wie ein Uhrwerk

von Sascha Jänicke

Am Sonntag war in Bremen mal wieder Polonaise angesagt. 42km schön hintereinander herdackeln, aber bitte schön im Takt. Nicht zu schnell loslegen, das rächt sich später. Auch nicht so sehr trödeln, sonst spürt man gnadenlos die Stoßstange des Besenwagens. Und damit keiner aus der Reihe tanzt, hab ich mich mal wieder als Taktgeber und Tempomacher für die 4:30h anheuern lassen: Pacemaker beim Bremen Marathon! Aber wie sagte der nette Herr bei der Startnummerausgabe doch unverblümt: „Was? Für 4:30h gibt es einen Tempoläufer? Da bist du ja wohl eher der Bremsklotz!“ Na gut, dann eben Bremsläufer! Aber ganz ehrlich: man kann es drehen und wenden wie man will. Ein Marathon bleibt ein Marathon. Ganz egal, ob man ihn schnell, langsam oder gar rückwärts läuft. Am Ende sind es 42,195 Kilometer! Und vor dieser Strecke habe ich selbst nach einem Dutzend Tempoläufen noch einen gehörigen Respekt. Oder ist das etwa Angst, was sich da grundsätzlich einen Tag vor dem Start bemerkbar macht? Ein schlimmes Grummeln in der Magengegend, plötzlich schmerzen die Knie, aus dem Nix bekommst du Rücken und am Marathontag läuft die Nase. Super, die Nase läuft und die Füße riechen. Irgendwas stimmt nicht! Wird es trotzdem klappen?

Der Marathon in Bremen ist im Vergleich zu Berlin oder Hamburg natürlich eher ein gemütliches Familienfest. Die Teilnehmerzahl überschaubar, die Wege kurz! Und geht mal etwas schief, hilft man sich in der Bremer Lauffamilie gegenseitig aus der Patsche. Also mal eben einen gasgefüllten Ballon bei Radio Bremen organisieren, selber mit einem geliehenen Stift mit der Zielzeit beschriften, mit einer geschnorrten Sicherheitsnadel am Pacemaker-Shirt festmachen und auf in den Startblock. Noch kurz vorher „Dixi“ besuchen und es kann losgehen. Alles ist perfekt vorbereitet. Alles? Nein, ein Blick auf die Garmin verrät: Verdammt, Ebbe im Akku. Wird der Akku bis ins Ziel halten? Egal, kann ich jetzt eh nicht mehr ändern. Dann der Startschuss und ab geht die bunte Polonaise.

Durch das überschaubare Teilnehmerfeld kommt es unweigerlich zu interessanten Gesprächen in der bunten Polonaise. Da gibt es junge Marathondebütanten genauso wie in die Jahre gekommene Wiederholungstäter. Alle können einen interessanten Schwank aus ihrem persönlichen Läuferleben zum Besten geben. Na gut, je länger die Strecke desto ruhiger und kleiner wird das Feld im eigenen Dunstkreis. Die Luft wird halt knapper. Manchmal habe ich aber auch selbst um Luft zu kämpfen. Meine Güte, hätte der Typ gestern Abend beim Griechen nicht die Extraportion Tzatziki weglassen können? Und wer hat hier eigentlich gerade auf der „Rue de la Kack“ zielsicher die Tretmine getroffen?

Weiter geht’s durch die Bremer Stadtteile. Stellenweise erinnert die Streckenführung etwas an den Trendsport „Parkour“. Enge Unterführungen gilt es ebenso zu meistern wie Hausdurchgänge und immer wieder mal das so geliebte Kopfsteinpfalster. Aber was meckere ich rum? Ich laufe ja vorwärts! Emin Da Silva aber nicht. Für ihn war es bestimmt um einiges Härter. Dieser Laufverrückte Bremer hat es tatsächlich fertig gebracht, einen kompletten Marathon rückwärts zu laufen.

Je länger das Rennen, desto größer die Zahl der zu schnell abgetanzten Läufer, die man jetzt kleckerweise einsammelt. Darüber freut sich allerdings nicht jeder. „Nein! Nicht der 4:30h-Mann! Ich will unter 4,5 Stunden bleiben!“ Verzweiflung macht sich breit, und das unterversorgte Läuferhirn sorgt für überraschende Ideen: „Wenn du mich überholst, dann musst du mich Huckepack tragen!“ Auf meine Bemerkung, „auf diese Weise schaffen wir es beide nicht in 4:30h“, da war dann wieder Ruhe und ich konnte überholen.

Wenige Kilometer vor dem Ziel verabschiedete sich dann leider mein Ballon, es waren aber eh nur noch zwei Verfolger an meinen Fersen. Und die wussten nach 38km natürlich, wer hier der Tempo-Bremsklotz ist.

Als eingefleischter HSV-Fan gilt dann kurz vor dem Ziel die Devise: Augen zu und durch. Alle Läufer werden durch das Weserstadion gelotst, auf der Anzeigetafel abgelichtet und vom Stadionsprecher Christian "Stolli" Stollbegrüßt. Für mich ein Besuch in der Zentrale des Klassenfeindes! Hmm, so eine Möglichkeit bietet sich dem Hamburger Fan aber nicht wieder. Die muss ich nutzen. Also ran an den „Stolli“ und mal kurz „Nur der HSV“ ins Mikro schmettern. Was für ein Spaß, den alle Werderaner mit Humor nahmen und Stolli selbst noch einmal „Nur der HSV“ anstimmte. Na, hoffentlich hat er morgen noch einen Job.

Kleine Sünden bestraft der liebe Gott ja bekanntermaßen sofort. Kaum war ich raus aus dem Stadion, da stellte er mir die Quittung für meine kleine Frechheitaus. Ich sage nur: Wunde Nippel! Hätte ich doch jetzt bloß meinen Küchentisch dabei. Da liegen doch meine passend zurecht geschnittenen Pflaster.

Kurz darauf die nächste Hiobsbotschaft: Statt der gelaufenen Zeit zeigt die Uhr nur noch etwas in der Art von „Niedriger Akku, du Idiot! Wie blöd muss man sein, vor einem 4.30h-Lauf die Akkus nicht vollständig zu laden? Du Anfänger!“. Bitte halte die letzten Meter durch, flehte ich mein Zeiteisen an! Aber wer braucht schon eine Uhr, wenn er bereits fast 40km wie ein Schweizer Uhrwerk gelaufen ist. Im Ziel war es dann eine Punktlandung bei 4h:29min:37s. Pünktlich wie die Maurer! Sonntag fragte bereits die Deutsche Bahn bei mir an, wie man so pünktlich sein kann?

Alles in allem ein netter Marathon in der direkten Oldenburger Nachbarschaft, der sich toll entwickelt hat. Es wäre schön, wenn sich der Marathon in unserer Huntestadt ebenso entwickeln würde wie in der Hansestadt.

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