Myanmar:Zuschauerbegeisterung setzt bei Michael S.Kräfte frei (27.1.13)

von Sascha Jänicke

Onno Ringering auf dem Weg zum Sieg

Die Voraussetzungen für einen guten Marathon in Yangon waren für Michael gar nicht so günstig. Er war an einem Donnerstag angereist und mit Zwischenstop in Bangkok über 24 Stunden unterwegs gewesen. Danach gab es einen 14stündigen Schlaf der Gerechten, bevor er den Temperatur- und Klimawechsel von über 30 Grad am Freitag und Samstag zu spüren bekam. Das Hotel war gottseidank vorgebucht, so daß ein langes Suchen in der 5-Millionenmetropole mit dem unbändigen Verkehr - nahezu ohne Ampeln - überflüssig war. Am Freitag holte Michael die Startunterlagen ab und konnte auch die drei angereisten Kenianer interviewen. Am Samstag wurde der Start/Zielbereich am Volkspark in Augenschein genommen. An beiden Tagen war Michael je 12 Stunden auf Besichtigungstour - bei 30 Grad -, und holte sich prompt einen Sonnenbrand. Am Abend fiel er dann jeweils grogy ins Bett, leider auch mit Schmerzen im linken Schienbein, denn bei ausgiebigen Thromboseübungen hatte er sich im Flugzeug eine schmerzhafte Reizung (Schienbeinkantensyndrom) zugezogen, welche bei den langen Wegen in der weiträumigen Stadt noch schlimmer wurde. Der Marathon war gefährdet und konnte nur mit einer leichten Schmerztablette in Angriff genommen werden. Probleme hatte er während des Laufes trotzdem fast fortwährend. Der Zufall wollte es, daß zwei weitere deutsche Marathonis (von insgesamt 5) im gleichen Hotel wie Michael abgestiegen waren. Als man nachts um vier Uhr die engen und knarrenden Holztreppen hinunterschlich, um die übrigen Gäste nicht zu wecken, wären die drei im Dunkeln fast übereinandergestolpert. Nach englischsprachigen Verständigungsversuchen war gleich die gemeinsame Herkunft klar geworden, und auch die gleiche Ambition, wie an der Laufbekleidung schnell zu erkennen war. Andi und Rabea Brittain betreiben im Allgäu nebenberuflich einen kleinen Laufladen und einen Trainingsbetrieb im heimischen Sonthofen. Und noch ein Zufall: Sie sollten auch nach dem Marathon im gleichen Hotel wie Michael am Strand untergebracht sein, weshalb das Trio eine Woche zusammen verbrachte. Die beiden hatten schon in Costa Rica einen Marathon gelaufen, waren auf den Kilimanscharo gestiegen und anschließend dort den Kili-Marathon gelaufen, und schon 3 mal hatten sie den Swiss Alpin über 80 km und 6000 Höhenmeter gefinisht. Nun bestellte man ein gemeinsames Taxi und fuhr zum Start um 5:30 Uhr. Im Peoples Park herrschte ein riesiger Trubel von acht Fernsehkameras, zahllosen Reportern und sicher 40 professionellen Fotografen. Der Lauf war Medienereignis und wurde im öffentlich Rechtlichen übertragen. Sogar einen Fernsehhubschrauber gab es. Demgegenüber war die Starterzahl von knapp 300 Läufer, von denen nur 207 das Ziel erreichten, eher dürftig. Das kann aber beim Debüt und nach der jahrzehntenlanger Isolation auch nicht verwundern. (Beim Zehner kamen 400 Läufer ins Ziel, beim Jedermannsrun etwa 600). Insgesamt war das Orga-Niveau gemäß internationalen Standards, im Bereich der PR sogar besser als alles, was bisher gesehen wurde. Immerhin waren Läufer aus mehr als 30 Ländern dabei, davon viele aus Übersee. Der Marathonlauf von Yangon war wohl die erste internationale Sportveranstaltung des Landes überhaupt und darf als Akt der Demokratisierung und Öffnung des ehemaligen Burma (Birma) gesehen werden. Nach dem Besuch von US-Präsident Obama - seine erste Amtshandlung nach der Wiederwahl - und der Umarmung der demokratischen Hoffnung, der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, stand das unter der Militärregierung stehende Land im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Daß jetzt T-Shirts mit Bild dieser Umarmung verkauft werden können, wäre noch vor 2007 undenkbar gewesen. Myanmar, doppelt so groß wie Deutschland, läßt inzwischen Investoren und Touristen ins Land, verfügt es doch über die schönsten Strände und die herzlichste Bevölkerung, die sich denken läßt. Wie begeisterungsfähig die Burmesen sein können, war auch auf der
Marathonstrecke zu bemerken, die von schätzungsweise ein- bis zweihunderttausend Menschen gesäumt wurde. Zunächst waren die Blicke noch etwas skeptisch ("was betreiben die Verrückten denn hier in aller Frühe?"), aber als man begriffen hatte, gab es kein Halten mehr. Zahllose Opis und nahezu zahnlose Omis feuerten die Läufer an, Kinder strahlten um die Wette und wollten unbedingt abgeklatscht werden, ja sogar Polizisten und das Militär waren hingerissen und reichten außer der Reihe Getränke und ließen sich fotografieren, was sonst verboten ist. Auch die vielen Autofahrer auf der Strecke ließen sich nicht lumpen und gaben mehrfach Hubkonzerte, sehr zu Freude der Läufer, die dadurch angetrieben wurden und keine Zeit hatten, über die harten Bedingungen nachzudenken. Im Gegensatz zu vielen europäischen Marathons war es keine inszenierte, sondern eine überaus spontane und natürliche Begeisterung, insbesondere der vielen Kinder. Auf diese Weise von der Fröhlichkeit regelrecht angesteckt, kam Michael in ordentlichen 4:21 ins Ziel, was für ihn gut für diese Bedingungen ist. Nur am Schluß mußte er etwas beißen, aber da ging es auf der insgesamt leicht welligen Strecke schon etwas bergab, und schließlich wartete einer der beeindruckendsten Zieleinläufe auf Michael, der zur eigenen Überraschung möglicherweise der älteste Finisher war und die M55 gewonnen hätte, wenn es eine solche AK gegeben hätte. Denn Läufer mit angegrauten Haaren sah man nicht. Auch sonst ist, bei allen Problemen, die das Land noch hat (Tageslohn eines Hotelangestellten: o,75 Cent bei 31 Arbeitstagen a 15 Stunden hintereinander im Monat; Monatslohn eines Lehrers 12-25 Dollar) Myanmar absolut eine Reise wert, besonders bald, bevor der Tourismus hier richtig greift und die Menschen verändern wird. Die Masse der Spitzen-Sehenswürdigkeiten und die nahezu unberührten weißen Palmstrände sind Anlaß genug. Insbesondere empfiehlt sich Myanmar auch für Frauen, denn es gibt keinerlei Anmache und keine unangenehmen Situationen, wie übereinstimmend alleinreisende Frauen und auch Familien mit kleinen Kindern berichteten. Überhaupt sind deutlich mehr westliche Frauen im Land unterwegs als Männer, teilweise sogar welche, die die 70 schon hinter sich haben. Doch: etwas fit muß man noch sein, denn touren in Myanmar kann anstrengend werden, wie Michael erfuhr, der in drei Wochen 13 Pfund Gewicht verlor.

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